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Männer mit Vorhaut stecken sich leichter mit dem Aidserreger an

Männer mit Vorhaut stecken sich leichter mit dem Aidserreger an. Mediziner raten deshalb zur massenhaften Beschneidung.

Nervös erwartete Nelson Mandela den Schritt in eine andere Welt. Um die Mittagszeit saß er mit gespreizten Beinen nackt auf einem Leintuch. Dann erschien an jenem Sommertag des Jahres 1935 der Medizinmann. Ohne Betäubung setzte der Heiler das Ritualmesser an. Als der spätere Präsident Südafrikas an seinem Körper hinabsah, entdeckte er "einen perfekten Schnitt, sauber und rund, wie ein Ring".

Neuerdings dient die in Afrika verbreitete Minioperation nicht mehr nur als Initiationsritus, der Jungen zu Männern macht. Immer häufiger tauchen bei den archaischen Stammeszeremonien sogar Jungen auf, in deren Familien die Beschneidung bislang unüblich war. Mit der kleinen Metzelei wollen viele Eltern verhindern, dass das Stückchen Haut ihren Kindern dereinst zum tödlichen Verhängnis wird: Die Söhne sollen davor geschützt werden, sich beim Sex mit dem HI-Virus anzustecken.

Weltweit rund 70 Prozent aller HIV-infizierten Männer haben sich durch vaginalen Geschlechtsverkehr angesteckt - das sind bislang über 12,8 Millionen, vor allen in Afrika. Neuere Statistiken deuten darauf hin, dass beschnittene Männer dabei ein weit geringeres Risiko tragen, sich zu infizieren, als unbeschnittene.

Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen lieferten unlängst Wissenschaftler der Universität Melbourne: Bei ihren Untersuchungen kam heraus, dass die Vorhaut an der Innenseite kaum gegen das Eindringen von Erregern schützt - anders als die Außenseite; denn diese ist verhornt, zwar nicht so stark wie Fußsohlen, aber dick genug, um Keime abzuwehren.

Der US-Virologe Bruce Patterson glaubt jetzt sogar beobachtet zu haben, wie sich die Erreger durch die anatomische Schwachstelle Zutritt in den Körper verschaffen. An die 30 frisch skalpierte Vorhäute hat der Forscher mittlerweile im Reagenzglas mit den todbringenden Erregern infiziert.

Nachschub für seine Experimente erhält der Forscher von Männern, die auf Grund ihrer Vorhautverengung gezwungen sind, sich im gestandenen Mannesalter von Ihrem intimsten Stückchen Gewebe zu trennen. Damit ergatterte der Mediziner Vorhäute der besonders gefährdeten Gruppe der 20- bis 45-Jährigen.

Jedes Mal wenn neue Gewebeproben in sein Labor an der Northwestern University in Chicago eintreffen, markiert patterson die Vorhautzellen und Aidsviren zunächst mit unterschiedlichen Farbstoffen. Dringen die Erreger dann in die hautschichten an der Vorhautinnenseite, verfärbt sich das Gewebe sichtbar - an der Vorhautaußenseite hingegen perlen die Viren ab wie Tropfen an einem Regenschirm.

Für unbeschnittene Männer, so haben Forscher nun errechnet, steigt die Infektionsrate auf das 2,5- bis 8fache gegenüber Geschlechtsgenossen ohne Vorhaut. Virologe Patterson ist deshalb überzeugt: "In vielen Ländern wäre Beschneidung die beste Vorbeugung gegen Aids."

Vor allem in Afrika könnte diese Empfehlung Leben retten: Dort breitet sich das Virus hauptsächlich durch Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau aus. Südlich der Sahara leben 70 prozent aller mit dem HI-Virus infizierten Menschen, aber nur zehn Prozent der gesamten Weltbevölkerung.

Auch in Afrika selbst haben Wissenschaftler kürzlich eine erstaunliche Entdeckung gemacht. In Uganda testeten Ärzte 187 höchst ungleiche Paare: Während sich die Frauen bereits mit dem HI-Virus angesteckt hatten, waren ihre Ehemänner bislang verschont geblieben. Die Forscher klärten die Männer daraufhin über ihr hohes Sex-Risiko auf und verteilten kostenlos Kondome. Die Mühe der Ärzte war umsonst. Fast alle schlugen die Warnung in den Wind.

Doch zweieinhalb Jahre später hatte sich überraschenderweise kein einziger der 50 beschnittenen Männer das tückische Virus geholt - wohl aber 57 Herren mit intakter Vorhaut.

Solche epidemiologischen Erhebungen regen Mediziner nun zu spekulativen Zahlenspielen an. In Ländern wie Nigeria oder Indonesien, wo nur ein knappes Fünftel der Männer unbeschnitten durchs Leben wandelt, ließe sich durch den Schnitt im Schritt die Zahl der HIV-Infektionen um 25 Prozent verringern, rechnet der Epidemiologe Robert Bailey von der University of Illinois in Chicago vor.

Und in Sambia oder Thailand - dort lebt nur jeder fünfte Mann ohne Vorhaut - könnte die Ausbreitung des Virus sogar mehr als halbiert werden, wenn man alle Männer beschneiden würde.
Quelle: Der Spiegel (Ausgabe Nr. 3) vom 15.01.2001
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